Depression: Die radikale Theorie, die sie mit Entzündungen verbindet

 Collage von farbigen sagittalen MRT-Scans des menschlichen Gehirns.

Magnetresonanztomographie des menschlichen Gehirns.Bildnachweis: Simon Fraser / SPL / Getty

Der entzündete Geist: Ein radikal neuer Ansatz für Depressionen Edward Bullmore Short (2018)

Depression betrifft jeden vierten Menschen irgendwann in seinem Leben. Es ist oft schwierig zu behandeln, zum Teil, weil seine Ursachen noch diskutiert werden. Der Psychiater Edward Bullmore ist ein glühender Befürworter einer radikalen Theorie, die jetzt an Zugkraft gewinnt: dass Entzündungen im Gehirn einigen Fällen zugrunde liegen können. Seine prägnante, breit angelegte Studie The Inflammed Mind befasst sich mit den zunehmenden Beweisen.

Das Buch skizziert einen überzeugenden Fall für die Verbindung zwischen Gehirnentzündung und Depression. Bullmore bittet die Ärzteschaft, ihren kollektiven Geist zu öffnen, und die Pharmaindustrie, ihr Forschungsbudget für die Idee zu öffnen. Er bietet eine aktuelle Perspektive darauf, wie die Wissenschaft der Psychiatrie langsam aus einer jahrzehntelangen Erstarrung hervorgeht. Er sieht den Beginn einer Verschiebung in der kartesischen Ansicht, dass Störungen des Körpers den Ärzten gehören, während diejenigen des eher ‚immateriellen‘ Geistes den Psychiatern gehören. Die Annahme, dass einige Fälle von Depressionen auf Infektionen und andere entzündungsverursachende Störungen des Körpers zurückzuführen sind, könnte zu dringend benötigten neuen Behandlungen führen, argumentiert er.

1989 begegnete Bullmore während seiner klinischen Ausbildung am St Bartholomew’s Hospital in London einer Patientin, die er Frau P nennt und die an schwerer rheumatoider Arthritis litt. Sie hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck. Er untersuchte sie körperlich und untersuchte ihren allgemeinen Geisteszustand. Er berichtete seinem Oberarzt mit einem gewissen Stolz auf seine diagnostischen Fähigkeiten, dass Frau P sowohl arthritisch als auch depressiv sei. Antwortete die erfahrene Rheumatologin angesichts ihrer schmerzhaften, unheilbaren körperlichen Verfassung abweisend: „Sie würden es sein, nicht wahr?“

Frau P ist ein wiederkehrendes Motiv, ebenso wie die rhetorische Frage. Bullmore stützt sich auf mehr als zwei Jahrtausende der Medizingeschichte — vom antiken griechischen Arzt Hippokrates bis zur Arbeit des Neuroanatomikers und Nobelpreisträgers Santiago Ramón y Cajal von 1906 —, um seine Punkte zu veranschaulichen. Manchmal scheinen sie wie intellektuelle Mäander, aber diese Passagen zeigen auch, wie die medizinische Wissenschaft oft durch kühne Theorien voranschreitet, die sich von der empfangenen Weisheit lösen.

Nach seiner Ausbildung spezialisierte sich Bullmore auf Psychiatrie und erlebte schnell seine Grenzen. Er beschreibt sein wachsendes Bewusstsein dafür, wie schlecht die Wissenschaft dem Gebiet gedient hat, anhand der Entwicklung selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) als Paradebeispiel.

Dieser lange und kurvenreiche Weg begann mit dem Antibiotikum Iproniazid. Es wurde durch wissenschaftliche Logik entdeckt: durch das Screening von Chemikalien auf ihre Fähigkeit, Mycobacterium tuberculosis im Reagenzglas und bei Mäusen abzutöten. Iproniazid verwandelte die Behandlung von Tuberkulose in den 1950er Jahren. Patienten, die sich aus den Kiefern des Todes zurückkrallten, zeigten Euphorie – nun, würden Sie, würden Sie nicht? — und das Medikament wurde bald als Antidepressivum auf den Markt gebracht. Bald tauchte die Theorie auf (die mehr auf Vermutungen als auf Beweisen beruhte, sagt Bullmore), dass ihre psychiatrischen Wirkungen das Ergebnis der Steigerung der Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin waren. Arzneimittelentwickler begannen, sich breiter auf die Neurotransmission zu konzentrieren.

Prozac (Fluoxetin), das die Serotoninübertragung fördert, wurde Mitte der 1980er Jahre auf den Markt gebracht, und viele Pharmaunternehmen folgten schnell mit ihren eigenen SSRIs. Es schien die Revolution zu sein, auf die die Psychiater gewartet hatten. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass nur eine bescheidene Untergruppe von Patienten davon profitierte (Schätzungen auf der Grundlage von Studien variieren stark). Das ist im Nachhinein nicht überraschend, mit der neuen Erkenntnis, dass Depressionen viele Ursachen haben können. Bullmore ist der Ansicht, dass die Entstehung von SSRIs die wissenschaftliche Logik umgangen hat. Die Serotonin-Theorie, schreibt er, ist so „unbefriedigend wie die Freudsche Theorie der nicht quantifizierbaren Libido oder die hippokratische Theorie der nicht existierenden schwarzen Galle“. Er stellt fest, dass, nachdem SSRIs dem Hype nicht gerecht wurden, die Zeit für die Psychiatrie wieder stillstand.

Bullmore erinnert sich an eine Telefonkonferenz im Jahr 2010, als er Teilzeit beim britischen Pharmariesen GlaxoSmithKline arbeitete. Während des Anrufs gab das Unternehmen bekannt, dass es sich aus der Psychiatrieforschung zurückziehen werde, da keine neuen Ideen auftauchten. In den folgenden Jahren gaben fast alle ‚Big Pharma‘ die psychische Gesundheit auf.

Dann schien sich ein Fenster zu öffnen — eines, das ein anderes Licht auf die Notlage von Frau P warf.

Insbesondere die Blut-Hirn-Schranke erwies sich als weniger undurchdringlich als angenommen. Eine Reihe von Untersuchungen zeigten, dass Proteine im Körper das Gehirn erreichen können. Dazu gehörten entzündliche Proteine, sogenannte Zytokine, die in Zeiten einer Infektion durch Immunzellen, sogenannte Makrophagen, freigesetzt wurden. Bullmore führt Beweise zusammen, dass dieses Echo der Entzündung im Gehirn mit Depressionen in Verbindung gebracht werden kann. Das, so argumentiert er, sollte Pharmaunternehmen dazu inspirieren, in die Psychiatrie zurückzukehren.

Es scheint unfair, dass jemand, der von einer Infektion betroffen ist, auch Depressionen haben sollte. Gibt es eine mögliche evolutionäre Erklärung? Bullmore glaubt, dass Depressionen kranke Menschen davon abhalten würden, Kontakte zu knüpfen und eine Infektion zu verbreiten, die sonst einen Stamm auslöschen könnte.

Andere Erkrankungen des Gehirns können durch Entzündungen ausgelöst oder gefördert werden. Ein spannender Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen, einschließlich Alzheimer, wird ebenfalls untersucht (siehe Nature 556, 426-428; 2018). Aber wir müssen aus der Achterbahnfahrt der Hirnforschung lernen und die Erwartungen in Schach halten. Unter seiner bombastischen Begeisterung erkennt Bullmore dies auch an.

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